Narrativität
Ausgehend von der gegenständlichen Plastik, deren prägende Neuerungen die Werke Rodins am Ende des 19. Jahrhunderts demonstrieren, markierte die Loslösung vom Primat der menschlichen Figur eine radikale Veränderung der vorherrschenden Erzählmodi: Im Zuge der wachsenden Tendenz zur Abstraktion im 20. Jahrhundert agierte der Betrachter immer seltener als Zuschauer einer mythologischen oder biblischen Geschichte. Die für die Skulptur konstatierte Abkehr von den großen Erzähltopoi berücksichtigte jedoch nicht die Notwendigkeit einer terminologischen Erweiterung.[i] Zu diskutieren ist, wie die Formen selbstreferentieller Plastik, die nicht mehr zwingend auf einen außerbildlichen Gegenstand verweisen, eine faktische Handlung des Betrachters verlangen, dessen polysensuelle Wahrnehmung ermöglichen und dabei physiologisch-affektive Reaktionen hervorrufen.
Wie funktioniert Narrativität z.B. bei einer ungegenständlichen Skulptur, wenn die vormalig dargestellte Erzählerfigur wegfällt? Die Analyse einer Narration, die als zeitlich organisierte Handlungssequenz verstanden wird, welche mit vom Werk ausgehenden Impulsen den Rezipienten und sein Verhalten beeinflusst, verlangt einen modifizierten Begriffsapparat. Dieser beschreibt weniger Erzählmuster mit einem kausalen Handlungsverlauf, als vielmehr anderen Ausdrucksformen zeitlich eingebetteter Raum-Körper-Relationen, wie Montage, Fragment, serielle Wiederholung und Variation, Momente einer Ellipse, den interaktive Dialog oder verschiedene Modi der Installation.
Welche narratologischen Ansätze lassen sich mit Gewinn für die Analyse skulpturalen Erzählens ansetzen?[ii] Während die strukturalistische Erzählforschung in der Regel nach medienunspezifischen Handlungsstrukturen fragt, möchte das Netzwerk mit einem interdisziplinären Ansatz, der Methoden und Techniken aus der Literatur-, Medien-, Tanz- und Theaterwissenschaft aufgreift und kritisch reflektiert, in einer Gegenüberstellung von ungegenständlichen und figurativen Positionen Erzählkonzepte herausarbeiten, die für die Gattung Skulptur aufschlussreich sind. Ziel ist es, spezifisch skulpturale Kategorien und Begrifflichkeiten zu konturieren, da eine Skulptur im Unterschied etwa zum Gemälde, der Fotografie oder dem Film aufgrund ihrer Dreidimensionalität andere analytische Parameter erfordert.